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Tag des Erinnerns und Gedenkens 2023/2024

Der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz am THG

Jedes Schuljahr wird am Theodor-Heuss-Gymnasium der „Tag des Erinnerns und Gedenkens“ begangen. Ziel dieses Gedenktages ist es, dass sich Schülerinnen und Schüler mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Allgemeinen und im Speziellen mit dem Dritten Reich beschäftigen. Im vergangenen Schuljahr war zu diesem Anlass die heute 93-jährige jüdische Zeitzeugin Eva Erben an der Schule. Dieses Schuljahr besucht der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz aus Berlin das Aalener Gymnasium. Er ist ein ausgewiesener Experte sowohl für die Konzentrationslager im Dritten Reich als auch für die verschiedenen Formen des Widerstands. Zuletzt arbeitete er intensiv über Georg Elser. Auch als Antisemitismusforscher hat sich Benz international einen Namen gemacht.

Im Hörsaal der Hochschule Aalen hatten sich neben den zahlreichen Schülerinnen und Schülern des THGs auch Studentinnen und Studenten der Hochschule Aalen eingefunden. In seinen einführenden Worten ging Dr. Christoph Hatscher, Schulleiter des THG, unter anderem auf ein Wort von Benz ein, dem zufolge sich „Historiker und Zeitzeuge gelegentlich feindlich gegenüberständen“. Prof. Benz nahm den Hinweis auf und erläuterte ihn näher: „Wie kann es sein, dass die Aussagen eines kundigen, sich viele Jahre lang mit einem historischen Sachthema befassten Historikers gelegentlich durch die törichten und falschen Aussagen von Zeitzeugen in Frage gestellt werden?“ Freilich sei diese Aussage nicht zu generalisieren. Selbstverständlich seien Zeitzeugen wichtige Quellen für vergangene Epochen, aber sie sind laut Benz genauso wenig Garanten für die historische Wahrheit wie die Darstellung der Historiker auch. Auf keinen Fall jedoch verschwinde das Wissen über vergangene Epochen mit dem Tod des letzten Zeitzeugen, wie es manchmal öffentlich suggeriert werde.

In seinem Vortrag ging Wolfgang Benz dann vor allem auf verschiedene Formen des Widerstands gegen das Dritte Reich ein. Provokant eröffnete er: „Nach dem Ende des Hitler-Staates gab es keine Nazis in Deutschland.“ Fast jeder Deutsche war davon überzeugt, er sei am Tun der Nationalsozialisten nicht beteiligt gewesen und damit ein „Widerstandskämpfer“. Für Benz aber beginnt „Widerstand“, der den Namen verdient, erst dann, „wenn es gefährlich wird.“ Hierzu liefert der Professor unterschiedliche historische Beispiele: So wurde Julius von Jan, ein Pfarrer aus Oberlenningen bei Esslingen, vom Nazi-Regime verfolgt und wiederholt in Haft genommen. Er hatte nach der sogenannten „Reichspogromnacht“ in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1938 eine mutige Predigt in seiner Kirche gehalten hatte. Darin hatte er öffentlich Hitler und anderen Nazi-Größen „Buße“ für ihre Taten anempfohlen.

Lange verweilt Benz im Anschluss bei Lina Haag, der Ehefrau des jüngsten Landtagsabgeordneten der Kommunisten im Stuttgarter Landtag 1933. Diese arbeitete als Widerstandskämpferin und setzte sich nachdrücklich für die Befreiung ihres inhaftierten Mannes Alfred Haag ein, schließlich sogar bei Heinrich Himmler persönlich in Berlin. Den anwesenden Deutschlehrern empfahl Wolfgang Benz die autobiographische Schrift von Lina Haag zur Lektüre mit Schülern: Eine Hand voll Staub – Widerstand einer Frau 1933 bis 1945.

Er schilderte aber auch das beherzte Auftreten eines preußischen Polizeibeamten in Berlin. Wilhelm Krützfeld war trotz Befehls, brennende Synagogen nicht zu löschen, eingeschritten: Berlins Neue Synagoge sei ein kulturell bedeutendes Gebäude, das unter Polizeischutz stehe, er habe entsprechende Unterlagen dabei. Mit vorgehaltener Pistole verjagte er die Brandstifter. Anderntags wurde er zur Rede gestellt; in der Folgezeit versetzte man ihn mehrfach auf andere Stellen, aber sonst passierte ihm nichts.

Nach dem Vortrag stellten die Schüler noch einige Fragen und Benz konnte somit den Bogen vom Dritten Reich bis hin zu heutigen Formen des Antisemitismus und dem Erstarken rechter politischer Kräfte in der Jetztzeit schlagen. Einmal mehr wurde somit unmittelbar für die Schüler des THG deutlich, dass der Blick in die Vergangenheit immer zugleich einen Erkenntnisgewinn für die eigene Gegenwart darstellt.